Und weg
ist sie., sagt der Streuner und seufzt.
Ja, weg ist
sie., sagt Caroline und seufzt auch.
Aber sie seufzt
nur ein bisschen.
Denn die tiefen
Seufzer hebt Caroline sich immer für die Momente auf, in denen sie traurig ist oder vielleicht sogar wütend.
Für die schönen
Momente aber hebt sie sich die kleinen Seufzer auf, und wenn man sieht, wie die Sonne zwischen den Dächern der Häuser gleich
gegenüber von Carolines Fenster untergeht dann ist das ein schöner Moment. Ein sehr schöner sogar. Ein schöner, orangeroter
Moment. So orangerot wie der Streuner.
Und der mag
die Sonne, wenn sie untergeht, deshalb besonders gern.
Nun ist es
aber nicht so, dass dem Streuner die Sonne nur gefällt, wenn sie untergeht.
Die Sonne,
wenn sie aufgeht, ist mindestens genauso hübsch, aber die sieht der Streuner nur sehr selten.
Er schläft
nämlich gerne lang.
Manchmal schläft
er sogar, bis die Caroline von der Schule heimkommt.
Aber das macht
nichts.
Langsam verschwindet
nun auch das letzte Orange, das die Sonne dem Himmel überlassen hat, damit sich die Menschen noch etwas daran erfreuen können,
bevor es dunkel wird.
Caroline und
der Streuner sehen zu, wie der Himmel erst in ein helles und dann in ein dunkles Blau überwechselt.
Bald wird er
schwarz sein., erklärt Caroline. Und dann ist es Nacht.
Ich mag die
Nacht., sagt der Streuner und tänzelt auf dem Fensterbrett auf und ab. Nein,
sagt er jetzt. Ich liebe die Nacht!
Ich auch.,
sagt Caroline. Manchmal habe ich in der Nacht die tollsten Träume. Du kommst auch darin vor. Und der Wind und der Regen -
und stell dir vor: der blaue Wanderschirm auch!
Das ist schön.,
sagt der Streuner, aber mehr sagt er nicht.
Und was machst
du in der Nacht?, will Caroline wissen. Träumst du auch?
Ich besuch
dich doch in deinen Träumen., sagt der Streuner. Damit hab ich schon genug zu tun.
Und wenn du
nicht gerade in meinem Träumen bist was machst du dann?, fragt Caroline weiter.
Naja dann...
mache ich andere Besuche., sagt der Streuner. Ich besuche Mia. Zum Beispiel.
Mia? Wer ist
Mia?, will Caroline sofort wissen. Ist es ein Mädchen so wie ich?
Naja., sagt
der Streuner. Ein bisschen ist sie so wie du.
Wie kann denn
jemand nur ein bisschen von irgendwas sein?, wundert sich Caroline. Und dann will sie wissen, ob die Mia auch einen Flitzer
hat, so wie sie.
Natürlich nicht.,
meldet sich der Flitzer jetzt. Es gibt nur einen von meiner Sorte. Ich bin etwas Besonderes. Das sieht man doch.
Natürlich bist
du das., sagt Caroline. Du mit deinem schönen blauen Stern auf der einen und dem schönen silbernen Stern auf der anderen Seite.
Trotzdem gibt es noch viele andere Rollstühle das musst du zugeben.
Aber es gibt
nur einen Flitzer., sagt der Flitzer.
Und da hat
er recht.
Mia hat auch
einen Rollstuhl., meldet sich jetzt der Streuner wieder. Naja ein bisschen zumindest.
Da ist aber
nicht viel dran an dieser Mia, mischt sich der Flitzer schon wieder ein. Immer nur ein bisschen von allem. Sie ist nur ein
bisschen wie Caroline, sie hat nur ein bisschen von einem Rollstuhl...
Ja, das musst
du uns erklären., stimmt Caroline dem Flitzer zu denn wenn jemand nur ein bisschen von etwas ist und ein bisschen von etwas
hat und trotzdem etwas so Besonderes ist, dass er Besuche vom Streuner bekommt dann will man das schon genauer wissen.
Also., erklärt
der Streuner: Mia ist ein Mädchen. Ein Katzenmädchen. Und der Rollstuhl, der gehört der alten Dame, auf deren Knien sie sitzt.
Also ist sie ein bisschen wie Caroline und ihr gehört ein bisschen von einem Rollstuhl so ist das.
Ist sie deine
Freundin?, fragt Caroline.
Ja. Das ist
sie. Genauso wie du., sagt der Streuner. Naja, fast genau so wie du.
Das ist schon
wieder nur ein bisschen., surrt der Flitzer etwas ungeduldig. Warum nur ein bisschen? Warum nicht ganz?
Ja, warum nicht
ganz?, will auch Caroline wissen.
Es wäre doch
schön, wenn der Streuner ein Katzenmädchen zur Freundin hätte.
Denn Katzen
und Kater laufen doch gerade Nachts sehr gerne herum, und da wäre es doch schön für den Streuner, wenn er das mit einem Katzenmädchen
namens Mia machen könnte das heisst natürlich, wenn er nicht gerade in Carolines Träumen unterwegs ist.
Mia kann nicht
laufen., sagt der Streuner.
Warum nicht?,
fragt Caroline. Ist sie vielleicht doch so wie ich?
Nein., erklärt
der Streuner. Sie will gar nicht laufen.
Das glaub ich
nicht., schüttelt Caroline den Kopf. Jeder will laufen können.
Nicht wenn
die alte Dame nicht laufen kann, bei der du auf den Knien sitzt., erklärt der Streuner. Denn die wäre ja traurig, wenn sie
nicht mitlaufen kann.
Alte Damen
laufen nicht einfach so herum., weiss der Flitzer. Die Papa-Oma ist froh, wenn sie sitzen kann.
Das stimmt.,
pflichtet Caroline ihm bei.
Aber die Papa-Oma
ist halt nicht die alte Dame., meint der Streuner. Und die wäre sehr traurig, wenn Mia einfach so herumlaufen würde.
Nein, das glaub
ich nicht., ist Caroline ganz sicher: Ich bin ja auch nicht traurig, wenn du mit dem Wind um die Wette rennst.
Geh zur alten
Dame und frag sie einfach., schlägt der Flitzer vor.
Das geht nicht.,
sagt der Streuner.
Wenn die alte
Dame nur halb so nett ist wie unsere Caroline, dann geht das sehr wohl., sagt der Flitzer. Also geh und frag sie.
Ich kann sie
aber nicht fragen., sagt der Streuner. Sie kann mich nämlich nicht sehen.
Aha. Caroline
erkennt das Problem sofort. Der Papa und die Mama, die können den Streuner ja auch nicht sehen.
Aber Mia kann
die alte Dame doch sehen!, ruft Caroline. Dann soll eben Mia fragen, ob sie mit dir spazieren gehen darf.
Super Idee.,
sagt der Flitzer und surrt ein bisschen, was soviel heisst wie Super Idee eben.
Keine super
Idee., sagt der Streuner und geht auf dem Fensterbrett auf und ab. Denn die Mia kann mich auch nicht sehen.
Hoppla das
ist allerdings ein Problem., sagt Caroline und der Flitzer surrt dazu, ziemlich laut sogar, was soviel heisst wie: Das ist
allerdings wirklich ein Problem.
Dabei ist sie
so ein schönes Katzenmädchen., meint der Streuner. Und sie ist so lieb zu der alten Dame...hält ihr immer die Hände warm,
wenn ihr kalt ist... schnurrt sie in den Schlaf, wenn sie müde ist... und lauter solche Sachen.
Schade, dass
sie dich nicht sehen kann..., sagt Caroline.
Vielleicht
sollte sich Mia einen kleinen Hund wünschen., fällt es da dem Flitzer ein.
Und das ist
vielleicht gar keine schlechte Idee.
Damals, als
Caroline sich einen kleinen Hund gewünscht hat und die Mama gesagt hat, dass das nicht geht da hat ihr der Regen den Streuner
auf das Fensterbrett geklatscht - einen Kater zwar, und keinen kleinen Hund aber der Streuner ist schon eine gute Sache.
Einen kleinen
Hund., sagt Caroline nachdenklich und schüttelt dann den Kopf: Ich glaub nicht, dass sich Katzenmädchen kleine Hunde wünschen
würden.
Das bezweifelt
der Streuner auch und der Flitzer gibt zu, dass die Idee vielleicht doch nicht so gut war, und die Caroline versteht, dass
der Streuner ein bisschen traurig ist, weil man ihm so gar nicht helfen kann.
Es ist nicht
lustig, wenn man unsichtbar ist., sagt Caroline zum Streuner. Ich finde es auch nicht lustig, wenn ich den anderen Kindern
im Park beim Spielen zuschaue und die mich gar nicht sehen.
Wie sollen
dich die Kinder sehen, wenn du dich hinter einem Baum versteckst?, fragt der Flitzer.
Ich mag den
Baum eben., sagt Caroline.
Und Toby magst
du auch., sagt der Flitzer.
So ein Blödsinn.,
schnaubt Caroline, und wenn sie könnte, dann würde sie jetzt sogar ein bisschen surren, aber das kann sie eben nicht und so
schnaubt sie nur ein bisschen, das tuts auch.
Doch, du magst
ihn. Toby ist der schnellste Läufer in deiner Klasse., sagt der Flitzer. Und er sieht sehr gut aus.
So ein Blödsinn.,
schnaubt Caroline wieder aber der Streuner findet das durchaus interessant.
Du solltest
Toby sagen, dass du ihn magst., meint der Streuner. Er kann dich immerhin sehen und das ist schon was.
Er sieht nur
die Tina., erklärt Caroline. Die kann mindestens genauso schnell rennen wie Toby...
Kann sie auch
durch Dreckpfützen rasen, dass die Räder quietschen?, fragt der Flitzer. Oder zwischen den Regentropfen durchzischen ohne
nass zu werden?
Nein., sagt
Caroline. Und das muss sie auch nicht denn der Toby kann das auch nicht.
Dann ist es
kein Wunder, dass er dich nicht sehen kann., meint der Streuner. Der würde sich ja grün und blau ärgern über alles, was du
kannst und er nicht!
Na, ich weiss
nicht..., sagt Caroline. Er kann zum Beispiel Bockspringen oder über die Wiese kugeln.... und auf Bäume klettern...und er
rennt wie ein Wilder beim Fangenspielen...
Wer will das
schon können?, fragt der Streuner und ist nach wie vor so gar nicht beeindruckt von diesem Toby. Wer will schon Bocksprünge
machen wenn er Katzensprünge machen kann, und wer will schon jemanden einfangen, der nicht freiwillig bei ihm bleibt?
Das frage ich
mich auch., sagt der Flitzer. Und wer will schon über eine Wiese kugeln, wenn er darüber rasen kann und wer will schon auf
einen Baum klettern, wenn er ihn umkreisen kann ganz egal, wie hoch er ist.
Caroline muss
lachen, denn so hat sie die Sache noch nicht betrachtet, und sie fühlt sich schon ein bisschen besser.
Trotzdem ist
es eine traurige Sache, dass das dem Streuner eben so gar nicht hilft: Die Mia kann ihn trotzdem nicht sehen.
Aber riechen
kann sie ihn., meldet sich plötzlich der Wind und Caroline beeilt sich, das Fenster aufzumachen, damit der Wind sich auf das
Fensterbrett setzen kann. Er hat nämlich eine Antwort auf so vieles, weil er eben viel herumkommt und es sieht nun ganz so
aus, als könnte er dem Streuner einen Rat geben.
Riechen kann
dich die Mia, sagt er nochmals und setzt sich neben dem Streuner aufs Fensterbrett, und der Streuner spitzt die Ohren:
Wie gibts denn
das?, fragt er. Wie kann sie mich denn riechen, wenn ich vor der Fensterscheibe sitze und die Mia dahinter?
Na du kannst
doch auch den Himmel riechen, wenn die Sonne untergeht und der ist ziemlich weit von dir entfernt., erklärt der Wind und zwinkert
Caroline zu. Caroline riecht den Himmel nämlich auch.
Tut sie das?,
fragt der Flitzer. Das kann er sich nämlich nicht ganz vorstellen. Aber der Flitzer hat ja auch nicht gesehen, wie der Wind
der Caroline zugezwinkert hat. Die Caroline hat es aber gesehen und so nickt sie:
Doch., sagt
Caroline. Der Himmel der riecht nach... Orangen, wenn die Sonne untergeht.
Nach Orangen?,
fragt der Streuner und das interessiert ihn sehr.
Na sicher.
Die Sonne färbt den Himmel orangerot ein, wenn sie untergeht und dann riecht er nach Orangen genauso wie die Sonne nach Zitronen
riecht., erklärt der Wind und dann fügt er hinzu: Und jetzt rate mal, wonach du riechst?
Ich?, fragt
der Streuner und sieht sich seine orangeroten Pfoten genau an. Und er überlegt... und überlegt...und plötzlich geht ein Strahlen
über sein Katergesicht und er stellt ganz entzückt fest:
Ich glaube,
ich rieche auch nach Orangen!
Ja, das tust
du., sagt der Wind. Und zufällig weiss ich, dass deine kleine Mia Orangen sehr gerne mag.
Da weisst du
aber mehr als ich., sagt der Streuner.
Das kommt davon,
weil du nur Augen für Mia hast., meint der Wind. Würdest du darauf achten, was es ausser Mia sonst noch gibt, dann würdest
du wissen, dass die alte Dame eine ganze Schüssel voll Orangen auf ihrem Küchentisch stehen hat. Und dann würdest du auch
wissen, dass die sehr gut riechen und dass die Mia längst davongelaufen wäre, wenn sie die Orangen nicht mögen würde.
Das leuchtet
dem Streuner irgendwie ein.
Na Gott sei
Dank., seufzt der Wind. Dann wirst du auch verstehen, dass dich die Mia wo du doch so gut nach Orangen duftest sicher ebenso
gut riechen kann.
Ja., überlegt
der Streuner. Das ist möglich.
Das ist ganz
sicher so., sagt Caroline:
Sie kann dich
mindestens genauso gut riechen wie ... eine ganze Schüssel Orangen und das ist doch schon was.
Ja. Das ist
wirklich schon was, denkt sich der Streuner.
In dieser Nacht,
als die Caroline munter wird und aus dem Fenster guckt um zu sehen ob der Himmel vielleicht bald nach Orangen riecht weil
die Sonne aufgeht, da sitzt der Streuner vor Mias Fenster und duftet vor sich hin.
Aber der Wind,
der sitzt auf Carolines Fensterbrett und weil niemand da ist der sie hören könnte, fragt Caroline ihn:
Sag mal, Wind
rieche ich eigentlich auch nach etwas?
Ja., sagt der
Wind. das tust du.
Und wonach
rieche ich?, fragt Caroline.
Das frag die
Mama., sagt der Wind.
Und das macht
Caroline auch.
Gleich am Morgen,
nach dem Frühstück, fragt sie die Mama:
Sag mal, Mama
wonach rieche ich eigentlich?
Und die Mama
gibt der Caroline die Semmel mit der Orangenmarmelade für die Schule und überlegt:
Das kommt darauf
an..., sagt sie und lächelt. Heute morgen riechst du auf jeden Fall nach frischen Orangen.
Später in der
Schule, als der Toby keine Jause hat, weil er seine Semmel daheim vergessen hat, da gibt die Caroline ihm ein Stück von ihrer
Marmeladensemmel ab.
Der Toby sagt,
dass nichts so gut riecht wie die Semmel von der Caroline. Und da hat er fast recht.
Aber eben nur
fast.
Denn der Streuner,
der riecht mindestens genauso gut.