CAROLINE IM REGEN KINDERLITERATUR-PROJEKT 2004
Die Märzgeschichte

Der Schwindelballon

Brigitte Verba: Caroline im Regen

Der Schwindelballon

Weisst du was!, sagt Caroline und saust mit dem Flitzer quer durchs Zimmer, rüber zum Streuner, der wie üblich auf dem Fensterbrett sitzt und so tut, als wüsste er ohnehin schon alles und als könne nichts ihn wirklich überraschen.

Was soll ich wissen?, fragt der Streuner und sieht Caroline an: Oder besser gesagt: was soll ich nicht wissen?

Dass das, was manche Leute sagen, nichts weiter ist als heisse Luft., erklärt Caroline. ,Hast du das gewusst?

Na klar hab ich das gewusst., meint der Streuner und gähnt was bedeutet, dass Carolines Neuigkeit eben wirklich nicht neu ist, sondern vielleicht sogar so un-neu, dass es einen direkt wieder zum Einschlafen bringen könnte.

Der Streuner erkennt aber sofort, dass Caroline wegen der Gähnerei ein klein wenig beleidigt ist und so steigt er jetzt auf ihre Knie und legt den Kopf schief so wie er das immer macht, wenn er Caroline etwas erklären will.

Sag irgendwas., verlangt der Streuner.

Was soll ich denn sagen?, fragt Caroline.

Halt das genügt!, ruft der Streuner und hebt eine Pfote: Und jetzt sag das Gleiche noch einmal und halt dir dabei die Hand vor den Mund - so als würdest zu gähnen.

Caroline macht das auch, schon weil sie neugierig ist auf das, was da jetzt kommen soll:

Und was jetzt?

Was jetzt?, fragt der Streuner erstaunt. Ja, hast du denn nichts gespürt?

Was denn?

Na, die heisse Luft aus deinem Mund natürlich! Es kommt nämlich immer heisse Luft raus egal was man sagt.

Diesmal ist es Caroline, die den Kopf schief legt:

Der Papa hat das sicher etwas anders gemeint., sagt sie.

Das glaubt der Streuner nicht: Sogar bei den Eskimos kommt heisse Luft raus.

Das stimmt., sagt Caroline, obwohl sie noch nie einen Eskimo getroffen hat. Trotzdem hat der Papa das irgendwie anders gemeint.

Frag ihn., schlägt der Streuner vor. Gleich jetzt.

Nicht jetzt. Mama und Papa diskutieren gerade und das ist urefad.

Diskutieren? Das ist nie fad!, ruft der Streuner. Wenn

einer zu diskutieren weiss, dann ist das immer hochinteressant.

Damit steigt er wieder auf sein Fensterbrett und macht es sich erneut bequem.

Caroline weiss natürlich, wen der Streuner mit einer meint, aber der Streuner ist eben der Streuner und der Papa ist eben der Papa und die Mama ist eben die Mama und eine Küche ist eben eine Küche - und Küchen sind eben urefad.

Sie diskutieren über eine Küche?, ist der Streuner erstaunt. Kann man denn über Küchen diskutieren?

Das kann man., sagt Caroline . Stundenlang! Frag die Mama.

Das muss sich der Streuner noch überlegen aber was ihn wirklich in den Pfoten juckt, das wäre das Ding mit der heissen Luft.

Auf jeden Fall hat es mit Küchen zu tun., erinnert sich Caroline. Und mit den Leuten, die Küchen verkaufen.

Dann ist es ja wirklich urefad., meint der Streuner der das eigentlich nur sagt, weil ihm das Wort urefad einfach uregut gefällt. Es ist ein ziemlich neues Wort für ihn, das Caroline erst vor wenigen Tagen von der Schule mit nach Hause gebracht hat und das Caroline und der Streuner nun bei jeder Gelegenheit verwenden wobei sie sogar noch jede Menge neuer Wörter dazuerfinden - wie uregut ... oder ureblöd... oder auch ureschön...

Naja, die Sache mit der Küche hört sich jedenfalls wirklich urefad an zum Einschlafen fad - bis sich Caroline an noch was erinnert:

Jetzt weiss ich es wieder!, ruft sie und den Streuner, der wirklich fast wieder eingenickt waere, wirft es vor Schreck fast vom Fensterbrett.

'Der Papa hat zur Mama gesagt, sie soll nicht alles glauben, was die Leute ihr erzählen, denn vieles davon ist nur heisse Luft.

Vieles ist nicht alles.', überlegt der Streuner. 'Das heisst also, dass da doch noch was anderes als heisse Luft aus einem Mund kommen kann.

Ja, natuerlich!, erinnert sich Caroline. Weisst du noch, wie mir damals ureschlecht war und mir das Schnitzel wieder hochgekommen ist?

Ja, das weiss der Streuner noch aber er glaubt nicht, dass das, was der Papa gemeint hat, irgendwas mit Schnitzeln zu tun hat, die einem wieder hochkommen.

Nein, da muss was anderes dahinterstecken, da steht fest. Tja, wenn der Papa ihn nur sehen könnte... wenn er mit dem Papa nur ein einziges Mal diskutieren könnte!

Worüber willst du mit dem Papa diskutieren?, fragt plötzlich eine Stimme, die sowohl Caroline als auch dem Streuner sehr willkommen ist:

Caroline macht sofort das Fenster auf, damit der Wind sich zu ihnen gesellen kann wobei er die Windstärke wie immer auf ein kleines, laues Lüftchen zurückschraubt, denn wer will schon einen Sturm im Kinderzimmer haben?

Caroline will das auf keinen Fall, und weil der Wind das weiss, setzt er sich ganz manierlich neben dem Streuner aufs Fensterbrett und zupft nur ganz leicht am Vorhang, denn ganz ohne irgendeine Tätigkeit kann der Wind ja nun nicht sein - ob es dem Vorhang jetzt passt oder nicht.

Also, hör zu., sagt der Streuner: Der Caroline-Papa sagt zur Caroline-Mama, sie soll nicht alles glauben, was die Leute ihr erzählen, denn vieles davon ist nur heisse Luft.

Dabei ist ueberhaupt alles, was aus einem Mund kommt, nur heisse Luft., fügt Caroline hinzu. Bis auf mein Wiener Schnitzel.

Und jetzt wollen wir wissen, was ausser heisser Luft und Schnitzeln noch so aus einem Mund kommen kann., erklärt der Streuner.

Schwindelballons zum Beispiel!, sagt der Wind.

Was ist denn das, ein Schwindelballon?, will der Streuner wissen, aber im Grunde genommen muss er gar nicht fragen, denn der Wind weiss natürlich, dass der Streuner und die Caroline jetzt ganz genau wissen wollen, was ein Schwindelballon ist.

Einen Moment..., bittet er die beiden um etwas Geduld. Ich bin sofort wieder da!

Und wirklich kaum ist der Wind weg, da ist er auch schon wieder zurück, und er bringt etwas mit einen Schwindelballon nämlich.

Er ist gelb, mit einem roten Schuh drauf und einem Namen, den weder die Caroline noch der Streuner kennen.

'So heisst das neue Schuhgeschäft, gleich unten an der Ecke.', erklärt der Wind. Und das, worauf der Name steht das ist ein Schwindelballon.

'Ui, der sieht aber uregut aus., meint Caroline und der Streuner nickt:

'Aber was macht so ein Schwindelballon? Was ist da drin?, will er wissen.

Der Ballon schwebt langsam auf Carolines Knie, wo er seine lange, weisse Nylonschnur zusammenrollt und leicht auf und ab wippt, wie das Ballons so machen egal ob es nun Luftballons sind oder eben Schwindelballons.

'In mir ist heisse Luft.', sagt der Ballon. 'Viel heisse Luft'

'Heisse Luft und sonst nichts?, fragt der Streuner enttäuscht. Dann bist du ja ein urenormaler Luftballon!

Nun lass mich doch ausreden., sagt der Schwindelballon ein wenig ärgerlich und bläht sich so auf, dass Caroline Angst hat, er könne vielleicht zerplatzen noch bevor er ihnen erklärt hat, was neben heisser Luft noch in ihm drin ist.

Also., sagt der Schwindelballon. Meine heisse Luft ist nicht irgendeine heisse Luft. Sie ist aus kleinen Schwindeleien gemacht.

Was ist denn das Schwindel-Eier?, fragt der Streuner und ist noch ein bisschen mehr verwirrt als er das ohnehin schon war.

Schwindeleien!, verbessert ihn Caroline. Das sind Lügen... welche von der weissen Sorte.

Aha ich verstehe!, sagt der Streuner. Daher auch der Name: Schwindel-Eier... weiss wie Eier... und was sind das, weisse Lügen?

Das sind Lügen, die keinem wirklich weh tun., erklärt Caroline geduldig. Und Schwindeleien sind keine Schwindel-Eier, das sind Schwindeleien...

Der Streuner überlegt:

Aha Schwindel-Eien - so wie Schwindel-Zweien oder Schwindel-Dreien...

Ja, ja, der Streuner hats kapiert und will jetzt wissen, wie viele Schwindel-Eier sich in so einem Schwindelballon aufhalten, was sie da drin machen und wie sie aussehen - und wozu sie überhaupt gut sind.

Zum Glück ist der Schwindelballon einer von der ganz netten Sorte, und er ist sehr geduldig mit jedem, der so viele Fragen hat wie der Streuner.

Meine Schwindel-Eier, also - - meine Schwindeleien die  sehen ganz verschieden aus., sagt der Schwindelballon: Die einen sehen aus wie rote Turnschuhe, die anderen wie blaue Laufschuhe, wieder andere sehen aus wie grüne Stiefel, und sie alle haben eines gemeinsam: wenn man sie anzieht, bekommt man Flügel und hebt ab!

Ui! Das wär was für Caroline!, ruft der Streuner und sieht Caroline entzückt an:

'Dann könntest du auch ohne den Flitzer ureschnell durch die Gegend rasen du könntest ja fliegen!

Streuner - du bist ureblöd!, meldet sich jetzt der Flitzer, der das ja eigentlich gar nicht böse meint. Aber wenn einer seiner Caroline vorschlägt, sich etwas besseres zu suchen, um durch die Gegend zu rasen als ihn, den Flitzer dann wird er schon etwas ungehalten! Denn der Flitzer ist ja nicht irgendein Rollstuhl. Er ist ein ganz besonderes Gefährt mit einem silbernen Stern auf der einen und einem blauen Stern auf der anderen Seite, und keiner fährt so elegant durch die kleinsten Regenpfützen wie er, und manchmal, wenn es sein muss, fährt er sogar zwischen den Regentropfen hindurch, damit die Caroline nicht so nass wird.

Und jetzt redet der Streuner was von irgendwelchen Schuhen, die einem Flügel verleihen!

Sowas gibts doch gar nicht!, sagt der Flitzer und surrt ein bisschen, so wie er das immer macht, wenn er will, dass die Leute kapieren, wie wichtig das ist, was er sagt.

Du hast vollkommen recht!, sagt der Schwindelballon. Natürlich verkauft der Laden, aus dem ich komme, nicht wirklich Schuhe, die einem Flügel verleihen. Aber dafür, dass es die Flügelschuhe nicht gibt, verkaufen sie sich ganz gut. Und weil kleine, weisse Lügen ja niemandem weh tun und damit es schöner aussieht, packt man sie in einen Schwindelballon und schenkt sie den Leuten, die damit machen können, was sie wollen.

So wie dich davonfliegen zu lassen., sagt Caroline. Vor einer Woche oder so war sie in einem grossen Kaufhaus in einem mit vielen Rolltreppen und ganz tollen Aufzügen, in denen man gleich zwei Flitzer unterbringen kann, wenn man das will.

In dem Kaufhaus hat sich die Mama nach einer neuen Küche umgeschaut und der Küchenmann hat der Caroline einen Luftballon geschenkt, einen blauen, mit einem Kühlschrank drauf, auf dem irgendein Name stand, an den sich Caroline nicht mehr erinnert. Caroline hat den Ballon jedenfalls fliegen lassen, irgendwann zwischen der einen und der anderen U-Bahnstation.

Die Mama hat ein bisschen geschimpft, weil man Geschenke nicht so einfach fliegen lässt, aber es war schon ein toller Anblick, wie der blaue Ballon sich da mit seinem Kühlschrank in die Lüfte erhob und davonsegelte.

War das vielleicht auch ein Schwindelballon?, fragt Caroline und der Streuner ist sich da ganz sicher.

Und du hast ihn davonfliegen lassen!, meint er und ist wirklich enttäuscht. Wir hätten reinschauen und herausfinden können, welche Schwindel-Eier da drin sind...und jetzt ist er weg. Eine Schande ist das!

Der Wind sagt, dass das im Grunde genommen wurscht ist: Caroline kann ja die Mama fragen, was ihr der Küchenmann damals alles erzählt hat:

Wenn es um sprechende Kühlschränke ging oder um Küchenböden, auf denen man Eislaufen kann, dann ist das eine Schwindelei, die der Mann mit heisser Luft in den Schwindelballon reingeblasen hat und die jetzt auf und davongeflogen ist.

Das heisst ein Schwindel-Ei., ist der Streuner hocherfreut, dass auch der Wind einmal einen Fehler machen kann. Nicht: Eine Schwindelei.

Jaja., sagt der Wind gutmütig und ist sich ziemlich sicher, dass das jetzt klar ist mit der heissen Luft und den Schwindelballons.

Also, dann ich muss jetzt weiter., sagt der Schwindelballon. Schliesslich arbeite ich ja für den Laden um die Ecke.

Caroline bedankt sich für seinen Besuch und setzt ihn aufs Fensterbrett, von wo er einen hervorragenden Start an den Tag legt und gemeinsam mit dem Wind davonsegelt.

Weisse Lügen tun wirklich niemandem weh., sagt der Streuner, als er dem Ballon nachblickt. Sonst wäre es nicht möglich, dass ein Ballon so hoch in den Himmel steigen kann, dass er bald beim lieben Gott angelangt ist.

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