CAROLINE IM REGEN KINDERLITERATUR-PROJEKT 2004
Die Preistraeger-Geschichte

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Caroline im Regen von Brigitte Verba

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'Ich soll naemlich Gott suchen.', sagt Caroline und schmeisst ihre Schultasche auf den Boden.

Der Streuner reckt sich muede, aber durchaus interessiert und sieht zuerst die Schultasche und dann Caroline an:

'Wie du das schaffst mit der Schultasche.', sagt der Streuner und steht langsam auf. 'Die muss doch hundert Kilo wiegen.'

'Kein Problem, wenn man mobil ist.', sagt Caroline und dann sagt sie:

'Ich soll Gott suchen, sagt die Frau Lehrerin.'

'Hab ich gehoert.', sagt der Streuner. 'Wo findet man denn so was?'

'So was?'

Caroline kneift die Augen zusammen und schuettelt den Kopf:

'Was heisst hier: so was! Weisst du denn nicht, wer Gott ist?'

Der Streuner zieht durch die Nase auf, weil er schon seit Wochen unter diesem bloeden Schnupfen leidet, und er plaziert sich direkt neben der Schultasche:

'Bin nicht sicher. Kann ja nicht jeden kennen.', maunzt er.

'Also, den, der dich geschaffen hat, solltest du schon kennen.', meint Caroline.

'Dann bist du eben Gott.', sagt der Streuner.

Aber Caroline schuettelt entschieden den Kopf:

'Aber ich bin doch nicht Gott!'

'Du hast mich aber erschaffen.', sagt der Streuner. 'Ich hab dir das doch erklaert wie das ist mit der Phantasie, weisst du nicht mehr?'

Natuerlich weiss Caroline.

Erstens ist sie mit ihren sieben Jahren nicht dumm und zweitens koennte niemand den Tag vergessen, an dem der Regen den Streuner auf die Fensterbank geklatscht hat.

Damals war der Streuner tropfnass, wie ein orangeroter Feuerball, der einem Feuerwehrschlauch entkommen ist - aber wunderschoen anzusehen und sehr lieb und sehr klug und ueberhaupt: ein richtiger Streuner eben.

Und jetzt sitzt er da und weiss nicht, wer Gott ist!

'Einer, der soviel herumgekommen ist wie du, der sollte aber doch wissen, wer Gott ist.', sagt Caroline.

'Du weisst es ja auch nicht.', sagt der Streuner.

'doch.', meint Caroline. 'Gott ist der Schoepfer allen Lebens.'

'Das klingt gut.', gibt der Streuner zu und zieht noch einmal durch die Nase auf. 'Dann bittest du ihn, meinen Schnupfen wieder mitzunehmen, wenn du ihn gefunden hast.'

'Du kapierst aber auch gar nichts.', seufzt Caroline. 'Gott ist doch nicht fuer deinen Schnupfen zustaendig!'

'Wenn er aber doch der Schoepfer allen Lebens ist!', beschwert sich der Streuner. 'Oder denkst du, ich habe meinen Schnupfen erfunden?'

Und  so niest der Streuner jetzt einmal ganz kraeftig, damit Caroline auch sieht, dass es den Schnupfen wirklich gibt, und so nickt sie nachsichtig: 'Schon gut! Aber als Lebewesen kann man den Schnupfen eben doch nicht bezeichnen!'

Na - da hat sie aber die Rechnung ohne den Schnupfen gemacht, denn jetzt geht's erst richtig los!

Ein weiteres gewaltiges 'Ha-tschi!' aus des Streuners Schnauze und da hockt er jetzt, der Schnupfen, mitten auf dem Boden und blickt etwas ungehalten zu Caroline hoch:

'Ich glaub, ich spinne!', sagt er und schuettelt sich, dass die Tropfen fliegen. 'Ich soll kein Lebewesen sein? Kannst du mich nicht sehen? Bist du blind oder was?'

'Nein.', sagt Caroline. 'Blind bin ich nicht. Nur gelaehmt.'

'Aha. Ja.', sagt der Schnupfen und naehert sich auf feuchten Troepfchen Carolines Rollstuhl:

'Was heisst denn das: gelaehmt?'

'Ich kann nicht laufen.', erklaert Caroline.

'Aha. Ja.', sagt der Schnupfen und er ist wirklich sehr interessiert an den blitzblauen Raedern, die auf Carolines Rollstuhl montiert sind.

'Das sind Raeder.', erklaert der Streuner und ist froh, den Schnupfen so ploetzlich losgeworden zu sein.

'Aha. Ja.', sagt der Schnupfen. 'Wozu braucht man denn so was?'' Damit ist sie schneller als die Feuerwehr.', behauptet der Streuner. 'Damit kann sie laufen!'

'Aha. Ja.', sagt der Schnupfen und huepft auf Carolines Knie, um einen besseren Blick auf das Maedchen werfen zu koennen:

'Ich kann naemlich auch nicht laufen.', sagt er.

Caroline hat das Gefuehl, dass der Schnupfen ihr damit mehr sagen will, als nur das. Also tut sie besonders interessiert und beugt sich auch etwas nach vor, um ihrerseits das gruenliche Ding besser betrachten zu koennen:

Es sieht aus wie ein Haufen chinesischer Glasnudeln im Glatt-Verkehrt-Muster gestrickt.

'Ich kann aber huepfen.', sagt der Schnupfen und plustert sich etwas auf: 'Hast du gesehen wie ich vorhin gesprungen bin? Und ich kann noch viel hoeher huepfen! Ich kann einem Zweimetermann direkt ins rechte Nasenloch springen und drin bleiben so lange ich will!'

'Sehr beeindruckend, wirklich.', stimmt Caroline dem Schnupfen zu. 'Huepfen kann ich leider nicht.'

'Aber sausen - mit den Raedern.', sagt der Streuner, dem das nicht gefaellt, wie der Schnupfen angibt mit seiner bloeden Springerei. 'Sie ist schnell. Kannst den Wind fragen.'

Der Schnupfen blickt zum Fenster hinueber: 'Ist grad nicht da.', sagt er. 'Aber wenn ich ihn sehe, frag ich ihn.'

'Frag ihn auch, wo Gott ist.', faellt es dem Streuner ein.

'Ich soll naemlich Gott suchen.', erklaert Caroline. 'Das hat die Frau Lehrerin gesagt.'

'Die Frau Lehrerin?', ist der Schnupfen etwas erstaunt. 'Aber bei der war ich doch erst letzte Woche, und die ist nicht dumm, das kann ich dir sagen! Die hat mich doch glatt mit ihrem scheusslichen, gruenen Tee vertrieben! Ach - was fuer ein Gestank das war!'

Der Schnupfen schuettelt sich, feucht wie eh und je, und springt dann auf den Boden und von dort aufs Fensterbrett, von wo er einen guten Blick auf die Strasse unten hat:

'Und jetzt will sie von einem kleinen Maedchen wissen, wo Gott ist?'

'Ich bin schon sieben.', klaert Caroline den Schnupfen auf. 'Und die Frau Lehrerin weiss sehr wohl, wo Gott ist.'

'Aha. Ja.', begreift der Schnupfen. 'Dann will sie dich wohl nur aergern, was? Ist sie neidisch auf deine Raeder?'

'Nein.', sagt Caroline. 'Niemand ist neidisch auf meine Raeder, das kannst du mir glauben.'

Und es ist das erste Mal, dass da etwas in Carolines Stimme ist, was weder dem Streuner noch dem Schnupfen gefaellt.

'Ich haette lieber Beine.', sagt Caroline. 'Beine anstelle der Raeder.'

'Du hast deine Phantasie.', wendet der Streuner ein. 'Und das ist doch was wert.'

'Ich weiss.', sagt Caroline. Aber das ist alles, was sie dazu sagt: 'Ich weiss.'

'Wenn es deine Phantasie nicht gaebe - dann waere ich jetzt nicht hier.', erinnert sie der Streuner und taenzelt hocherhobenen Schwanzes, wie es Kater gerne tun, um seine Besitzerin herum. 'Oder denkst du, dass jedes Kind einen feuerroten Kater besitzt, dem ihm der Regen aufs Fensterbrett geweht hat?

'Nein.', sagt Caroline. 'Aber andere Kinder haben auch Phantasie und koennen trotzdem laufen.'

'Warum kannst du denn nicht laufen wenn andere es koennen?', fragt der Schnupfen und ignoriert den boesen Blick des Streuners, der lieber nicht davon reden moechte.

'Weiss ich nicht., sagt Caroline. 'Das war schon immer so.'

'Ja aber - irgend jemand muss doch daran schuld sein.', bohrt der Schnupfen weiter, der das gar nicht boese meint.

'Mama meint, das hat der liebe Gott so gewollt.', sagt Caroline. 'Das ist halt so.'

'Woher weiss deine Mama das denn? Hat sie ihn gefragt?'

'Weiss nicht.'

'Du weisst aber vieles nicht fuer dein Alter.', sagt der Schnupfen und drueckt sich etwas gegen die Fensterscheibe, um besser sehen zu koennen, was sich da draussen so tut.

Der Streuner springt auch aufs Fensterbrett, damit ihm nichts entgeht, falls es da was gibt, was ihm entgehen koennte. Aber eigentlich gibt es da nichts.

'Wenn Gott gewollt hat, dass du nicht laufen kannst, dann solltest du ihn fragen, warum.', sagt der Schnupfen bestimmt.

'Dazu muss sie ihn aber erst finden.', erinnert ihn der Streuner. 'Und wir wissen doch nicht, wo er wohnt.'

'Wo wer wohnt?', fragt da ploetzlich jemand und die Fensterscheiben klirren, als dieser jemand sich jetzt mit grosser Kraft dagegen stemmt und das Fenster kurzerhand aufstoesst:

'Hallo, Caroline.', sagt der Wind und zieht verspielt am Vorhang, der sich lautstark ueber diesen Unfug beschwert, weil er von Carolines Mama erst seine Falten frisch gelegt bekommen hat.

'Hallo, Wind.', sagt Caroline. 'Ich soll naemlich Gott suchen.'

'Ach so.', sagt der Wind. 'Wer will denn was von ihm?'

'Caroline will ihn fragen, warum sie nicht laufen kann.', erklaert der Schnupfen.

'Aber das stimmt doch nicht!', sagt der Streuner und die Fellhaare stehen im zu Berge.

'Ja, wozu willst du ihn denn sonst suchen?', fragt der Wind und zieht noch mal am Vorhang, womit er eine Riesenfreude hat.

'Die Lehrerin hat gesagt, wir sollen ihn suchen.', sagt Caroline. 'Aber keiner weiss, wo man ihn finden kann.'

'Wie sieht er denn ueberhaupt aus?', fragt der Wind.

Aber das weiss auch keiner so richtig.

'Das ist eine Frechheit, was? Soll so ein Maedchen etwas suchen, von dem man nicht einmal weiss, wie es aussieht.', sagt der Schnupfen. 'Eine Schweinerei, so was!'

Und er schuettelt sich, dass die Tropfen fliegen.

Da muss Caroline niesen, laut und gleich dreimal hintereinander!

'Na bravo, eingeladen habe ich dich aber nicht!', sagt Caroline.

Da geht die Zimmertuer auf und Mama kommt herein:

'Mit wem redest du denn da, mein Schatz?'

'Mit dem Schnupfen.'. sagt Caroline.

'Den faengt man sich leicht ein, wenn man bei so einem Wind das Fenster offen laesst.', sagt die Mama und macht es zu.

'Mama, weisst du, wo ich Gott finden kann?', fragt Caroline.

Die Mama richtet den Vorhang wieder, der sich darueber ungemein freut, und wendet sich dann Caroline zu:

'Gott? Der ist ueberall!'

Mama setzt sich auf Carolines Bett.

'Er ist ueberall dort, wo man an ihn denkt und man denkt ueberall dort an ihn, wo man seinen Namen nennt.'

'UEberall wo man seinen Namen nennt.', wiederholt Caroline nachdenklich. 'Das ist interessant.'

Sie sieht sich im Zimmer um, niest noch einmal und fragt dann:

'Ist Gott dann auch im Schnupfen? Und im Wind?'

Mama lacht: 'Naja, warum nicht? Ich weiss zwar nicht recht, wozu der liebe Gott gerade den Schnupfen  erfunden hat, aber er wird schon seine Gruende gehabt haben.'

Der Schnupfen kann einem Zweimetermann direkt ins rechte Nasenloch springen und drin bleiben so lange er will .', sagt Caroline.

'Dann ist das ja auch geklaert.', meint die Mama.

Und als die Mama aus dem Zimmer geht, nimmt Caroline ihr Schulheft und schreibt hinein:

'Heute habe ich Gott gesucht.'

Da ploetzlich ist ein Geraeusch am Fenster, ein Klopfen wie von tausend Fingern, und der Streuner drueckt die Nase gegen die Fensterscheibe und sagt: 'Das ist der Regen!' und er freut sich und fragt sich, warum Caroline gerade jetzt schreiben muss, wo der Regen zu Besuch gekommen ist. Aber Caroline winkt dem Regen kurz zu und schreibt weiter:

'Ich habe heute Gott gesucht und ihn dreimal gefunden. Aber ich weiss, dass es ihn noch viel, viel oefter gibt, als man an einem einzigen Tag herausfinden kann.'

 

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