CAROLINE IM REGEN KINDERLITERATUR-PROJEKT 2004
Die Aprilgeschichte

Heinrich vom Müll

Manchmal ist der Himmel den ganzen Tag grau, und dicke Wolken hängen dicht an dicht und lassen die Sonne überhaupt nicht durch. Dann schimpfen die Leute, und sie schimpfen noch ein bißchen mehr, wenn die Wolken dann als Regen auf ihre Köpfe fallen oder auf Telefonzellen oder auf Wanderschirme oder auf Schwindelballons.

Den Streuner, der Caroline und dem Flitzer macht der Regen aber großen Spaß. Schließlich war es ja der Regen gemeinsam mit dem Wind der den Streuner damals auf Carolines Fensterbrett geklatscht hat, und das ist doch schon eine ganze Menge. Aber nicht alle Carolines auf der Welt haben einen Streuner und mögen den Regen, und der Papa sagt, man kann eben nicht alles haben und schimpft auch über ihn.

Aber er schimpft nur ein wenig, weil er der Papa ist und weil er weiß, daß Caroline den Regen so gerne mag. Nicht, daß der Papa den Streuner sehen kann. Aber das macht nichts.

Der Streuner mag den Papa trotzdem auch wenn er absolut nicht der Meinung ist, daß man eben nicht alles haben kann.

Denn obwohl der Papa und die Mama damals zur Caroline gesagt haben, daß das mit dem kleinen Hund nicht geht in einer Wohnung hat Caroline trotzdem etwas bekommen: Ihn, den Streuner, ganz orangerot und sehr schön anzusehen und immerhin einen halben Meter hoch, wenn er sitzt. Und das ist doch was viel Größeres als ein kleiner Hund, für den am Ende sowieso niemand Zeit gehabt hätte. Das hat auch Caroline verstanden, damals, als sie den klatschnassen Streuner aus dem Regen hinein ins Zimmer geholt hat. Da hat Caroline zugegeben, daß kleine Hunde ja nicht alleine Gassi gehen können: Sie wissen nicht, wann sie über die Straße laufen dürfen und sie können, weil Caroline in der Schule ist und der Papa im Büro und die Mama den ganzen Vormittag lang belegte Brötchen verkauft, sehr leicht verlorengehen.

Caroline weiß wie das ist mit kleinen Hunden und kleinen Kindern: Die Mimi zum Beispiel, die ist jetzt drei Jahre alt. Caroline hat sie bekommen, da war sie vier und bis heute läßt sie die Mimi nicht alleine runter auf die Straße: Die Mimi kennt nicht den Unterschied zwischen Rot und Grün und mit drei Jahren durfte Caroline auch nicht alleine auf die Straße. Außerdem will sie nicht, daß die Mimi verlorengeht, denn es genügt, daß bereits ein wichtiger Teil von ihr verlorengegangen ist: ein Teil ihrer Wörter nämlich.

Das ist so:

Damals, als die Mimi ins Haus kam, vor drei Jahren, mit ihren dunklen Schoko-Locken und den blauen Kulleraugen, die sie ein wenig aussehen lassen wie die Caroline, da konnte sie eine ganze Menge Wörter sagen: Mama sagte sie sowieso, aber auch Papa und Mimi mag keine Nudeln und Mimi Heia machen und noch ganz andere Dinge. Aber irgendwie ist eine der Schallplatten, die man in Mimis Rücken stecken muß, einfach verlorengegangen und nicht wieder aufgetaucht. Heute kann sich Mimi nur mehr über die Nudeln beschweren, die sie nicht mag. Dem Streuner ist das auch noch zu viel, denn er mag Nudeln und er versteht nicht, warum das bei der Mimi nicht so ist.

Caroline stört das nicht. Sie freut sich ohnehin schon sehr auf die neue Puppe, die sie sich vom Christkind wünscht:

Caroline hat sie in der Fernsehwerbung gesehen und natürlich in den bunten Schaufenstern in der Stadt, direkt zwischen den tannengrünen und den blitzblauen Lokomotiven, die es dem Flitzer so angetan haben. Ja, diese neue Puppe ist ein echtes Prachtstück und sie ist eine Von-und-Zu, denn ihr Name lautet Creation von Zapf ,und sie kann eine ganze Menge mehr als die Mimi, die als Mimi ins Haus kam und auch jetzt noch immer einfach nur Mimi heißt.

Die Creation von Zapf, die ist etwas Besonderes: Diese Puppe braucht keine Schallplatten, die man verlieren kann. Ihre Wörter und es sind sehr viel mehr als die Wörter der Mimi die hat man ihr direkt ins rechte Bein, in den linken Fuß, in die linke Hand und in den Bauchnabel eingelassen. Wenn man dort fest draufdrückt, dann fängt die Creation von Zapf zu reden an und das über alles Mögliche, nur nicht über Nudeln. Aber das ist auch das einzige, was dem Streuner an der neuen Puppe gefallen koennte. Er mag die Mimi lieber, trotz der Nudeln weil sie ihm doch irgendwie ähnlich ist. Die Mimi heißt nämlich auch nur Mimi, so wie der Streuner auch nur Streuner heißt und nicht etwa Streuner von Samtpfötchen oder von Schuetteltatze oder von Flunkerohr. Einfach nur Mimi und einfach nur Streuner zu heißen, das genügt vollkommen - findet der Streuner.

Caroline hat trotzdem einen Narren gefressen an dieser Creation von Zapf, und sie erzählt dem Streuner, daß alleine der Name darauf hindeutet, daß sie außergewöhnlich ist. Die Papa-Oma hat der Caroline einmal von einem Mann erzählt, der war auch ein Von-und-Zu, so wie Creation von Zapf. Er hieß Eduard von Kloppenberg und wohnte in einer vornehmen Villa etwas außerhalb der Stadt, und das war damals wirklich etwas Besonderes. Damals hatten sehr viele besondere Menschen lange Namen mit Von- und- Zu aber heute ist das etwas anders.

Da gibt es zum Beispiel einen Mann, der jede Woche die Mülltonnen vor dem Haus nach Dingen durchsucht, die er auf seinen Schubkarren legen und mitnehmen kann Dinge, die für andere Leute keinen Wert mehr haben. Der Mann ist auch ein Von-und-Zu, denn er heißt Heinrich vom Müll.

Immer wenn sich die Mama beschwert, daß die Wohnung zu klein ist für all die Sachen, die sie darin unterbringen muß, sagt der Papa: Dann gib sie doch einfach dem Heinrich vom Müll..

Und die Mama sagt dann immer, daß der Heinrich vom Müll eh schon ihre halbe Wohnzimmereinrichtung auf seinem Schubkarren hat und findet dann immer wieder noch ein Plätzchen für ihre Sachen. Und die Papa-Oma, die will vom Papa wissen, ob er sie auch dem Heinrich vom Müll mitgeben wird, wenn sie irgendwann einmal nicht mehr nur marod ist, sondern komplett kaputt. Dann lacht der Papa immer und gibt ihr ein Bussi und sagt, nein, er gibt sie nicht weg -  und die Papa-Oma meint, das ist auch besser so, denn sie hat ihn als Baby ja auch nicht weggegeben, obwohl er sehr lange brauchte, bis er endlich ins Töpfchen machte und nicht in die Windeln.

Die Mama ist sehr froh darüber, daß die Papa-Oma den Karl nicht weggegeben hat, denn sonst hätte sie ihn vielleicht niemals kennengelernt, und sie hat den Karl doch so lieb. Karl das ist der Name vom Papa. Er ist kein Von-und-Zu und die Mama auch nicht. Beide heißen nur Karl Müller und Emilie Müller und Caroline heißt auch nur Caroline Müller und fertig. Trotzdem geht es ihnen viel besser als dem Eduard von Kloppenberg, von dem man heute gar nichts mehr hört. Die Papa-Oma sagt, daß es nicht gut ist, wenn man von Leuten gar nichts mehr hoert, schon weil sich dann auch der liebe Gott Sorgen machen muß: Das tut der liebe Gott nämlich, wenn man sich nicht ab und zu bei ihm meldet. Zum Schluß glaubt er nämlich, er hätte irgendwas falsch gemacht.

Kann denn der liebe Gott auch was falsch machen?, hat sich Caroline damals gewundert, und die Papa-Oma hat genickt: Aber nur, damit die Menschen es wieder richten können.

Der liebe Gott sieht zum Beispiel, wie sich zwei Menschen streiten.', hat die Papa-Oma erklaert. 'Soll er sich deshalb einmischen und den Streit schlichten? Nein, denn er weiß ja, wie das geht. Also holt er lieber einen anderen Menschen dazu, der das erst lernen muß und der alles wieder richtet. Dann freut sich nicht nur einer, sondern gleich vier: die Streithaehne, der Streitschlichter und der liebe Gott.'

Seither findet es Caroline sehr wichtig, dass sie jeden Abend zum lieben Gott betet, damit er weiß, daß es ihr und der Mama und dem Papa und der Papa-Oma und dem Streuner sehr gut geht und er sich keine Sorgen muß. Dann hat er mehr Zeit für andere Leute, die noch was dazulernen sollen.

Warum redest du ueberhaupt mit dem lieben Gott?, fragt der Streuner die Caroline. Der sieht ja sowieso, wie es uns geht, weil er ja alles sieht.

Das weiß der Streuner nämlich vom Flitzer, der damals mit der Caroline und der ganzen Schulklasse in der Kirche war. Dort hat er gehört, wie der Herr Pfarrer gesagt hat: Der liebe Gott sieht alles!, und darum findet es der Streuner beinahe ungehörig, den lieben Gott unnötig zu belästigen, wenn er doch alles sieht und alles weiß.

Caroline nimmt ihr Deutschheft aus der Schultasche und macht es auf, damit der Streuner sehen kann, was es da drin zu sehen gibt obwohl sie nicht einmal weiß, ob er schon lesen kann. Auf jeden Fall ist er ganz entzückt über die vielen goldfarbenen Sternchen, welche die Frau Lehrerin in das Heft geklebt hat, weil Caroline ganz besonders brav war. Das ist ihre Art, die Kinder in der Schule zu loben, und alle Kinder sind ganz versessen auf die Sternchen. Wer am Schulende die meisten Sternchen gesammelt hat, der bekommt ein lustiges Kinderbuch von der Frau Lehrerin, und das ist schon eine ganze Menge. Das gibt auch der Streuner zu, aber er will wissen, was goldene Sternchen und bunte Bilderbücher mit dem lieben Gott zu tun haben.

Also., erklärt Caroline: Wenn ich am Abend dem lieben Gott sage, daß es uns allen gut geht dann weiß er, daß er seine Sache gut gemacht hat. Und er freut sich bestimmt, wenn man ihn lobt so wie ich mich über meine Sternchen freue.

Dann weiß ich auch, warum der Himmel so voller Sterne ist!, ruft der Streuner begeistert: Für jedes Gebet klebt sich der liebe Gott einen kleinen Stern in seinen Himmel. Er hat ja auch kein Heft, wo man ihm seine Sternchen hineinkleben könnte.'

Da nickt Caroline: Heft hat der liebe Gott keines aber ein Buch hat er sehr wohl!

Später, als die Mama ins Zimmer kommt, findet sie Caroline schwer damit beschäftigt, mit ihrem goldfarbenen Glitzerstift wunderschöne Sternchen in das kleine, weiße Büchlein zu malen, das sie von der Papa-Oma bekommen hat und das die Bibel heißt und von Gott erzählt.

Was machst du denn da, mein Schatz?, fragt die Mama und blickt interessiert über Carolines Schulter.

Caroline legt den Glitzerstift beiseite und sieht die Mama begeistert an und sagt: Ich male dem lieben Gott ein paar Sternchen, damit er weiß, das er eine gute Arbeit leistet.

Das ist eine gute Idee., sagt die Mama und setzt sich neben Caroline.

Du, Mama glaubst du, daß der Heinrich vom Müll wenn er einen Glitzerstift hätte dem lieben Gott auch ein Sternchen malen würde, obwohl er ein Von-und-Zu ist und nicht viel hat?, fragt Caroline.

Die Mama überlegt, und dann sagt sie:

Ich glaube, unser Heinrich vom Müll ist dem lieben Gott jedesmal sehr dankbar, wenn er seinen Schubkarren voll bekommt.

Dann nimmt sie den Glitzerstift und malt einen kleinen Schubkarren in die Bibel der bis oben hin voll ist mit allerlei Sachen.

So., sagt die Mama. Jetzt weiß der liebe Gott, daß es dem Heinrich vom Müll auch gut geht.

Als die Mama in die Küche gegangen ist, um Abendbrot zu machen, nimmt Caroline den goldfarbenen Glitzerstift noch einmal in die Hand und malt eine kleine, goldfarbene Mimi-Puppe in Gottes weißes Buch. Die Mimi freut sich darüber und zwar ganz enorm.

Als Caroline längst im Bett liegt und schläft, sagt die Mimi ganz leise zum Streuner:

Ich dachte schon, Caroline mag mich nicht mehr, weil ich keine Von-und-Zu bin wie diese Creation von Zapf.

Ach wo!, beruhigt sie der Streuner. Du bist zwar etwas marod und manchmal vergisst du was du sagen willst, aber das tut die Papa-Oma auch, und trotzdem gibt der Papa sie nicht weg.

Da freut sich die Mimi und sagt:

Wenn ich einen goldfarbenen Glitzerstift hätte, dann würde ich dem lieben Gott jetzt einen Teller Nudeln in sein Buch malen.

Das findet der Streuner eine gute Idee, aber leider geht das nicht: Den goldfarbenen Glitzerstift hat Caroline der Mama gegeben, damit sie ihm dem Heinrich vom Müll schenken kann nur für den Fall, daß er dem lieben Gott auch einen Schubkarren malen will.

Aber das findet die Mimi wirklich okay und der Streuner sowieso, denn er ist besser im Nudelessen als im Nudelzeichnen.

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